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Extravaganz und der Schein des Schönen: Die heile Welt der Sechziger zeigt eine Maskerade einer Zeit, hinter der das Schöne aufzubrechen droht. In der Bruchstelle wird die unendliche Suche nach dem, was da noch mehr ist, vehement offen gelegt. Doch zunächst klafft nichts: Unter goldenem Schein bleibt vorerst alles verborgen. Weitab der ökonomischen Realität der Hollywood Studios, die sich nach dem Feldzug des Fernsehens nur kaum noch behaupten konnten und den gesellschaftlichen Umwälzungen im Strudel des Zeitgeistes trotzte, zeigt sich die Gesellschaft im Film als eine ewig schillernde Party oberflächlicher Bekanntschaften und freundlichem Lächeln im Gesicht. Mit Filmen wie Breakfast at Tiffany’s wird eine Welt geschaffen, deren glitzernde Anmut im glamourösen Kitsch das Reale lächelnd zur Seite schiebt. Im Rausch dieser exklusiven Atmosphäre bleibt Hollywood stehen und verharrt in diesem Stillstand des Schönen. Doch schon hier geht Breakfast at Tiffany’s weiter, thematisiert es diese Maskerade schon zu Beginn der Dekade selbst, so wird sie im Folgenden doch noch einige Jahre weiter getragen und atemlos im Leben gehalten. Mit Einem Hauch von Nerz oder Goldfinger wird die Welt hinter der Exklusivität der Oberflächlichkeiten zurückgehalten und die Bruchstelle erfolgreich zusammengehalten. In der Fabrikation von Träumen dieser Art zeig sich so dann die zentrale Strategie Hollywoods als sinnlähmende Industrie der Massenkultur.
Der so schon von Ernst Bloch in seiner Auseinandersetzung mit der neuen Massenkultur verwendete Begriff der Traumfabrik in Anlehnung an Adornos Kulturindustrie als Zentralstelle für Regression sieht in der Filmproduktion das „fabrikmäßig organisierte Kino“, was damit weitaus mehr mit der reinen Erschaffung einer Schweinwelt zu tun hat als mit Kunst und deren Verarbeitung von Realitäten. Unwirkliche Filme als Flucht-Utopien und Ablenkungsfilme, anstatt einer „Traumfabrik, eine Kamera der kritisch anfeuernden, plan-humanistisch überholenden Träume“ und avantgardistischen Oppositionen mit ganz anderen Inszenierungstechniken in der Wirklichkeit selbst. So tritt uns die Traumfabrik vielmehr noch als eine in ihren ökonomischen Zusammenhängen erfasste Kinomaschinerie entgegen, als eine nach Kracauer und Benjamin beschriebene Zerstreuungs- und Unterhaltungsmaschinerie, die stetig und fast unbemerkt Montage, Illusion und Tagtraum vermischt und dabei neue Realitäten als Imaginationen vertreibt. Eine Bewußtseinsindustrie, die immer selbstbewusster das Bewusstsein der Rezipienten zu behandeln weiß und dabei, selbst den Bedürfnissen abgewandt, Gesellschaft selbst produziert.
Mit großen Augen blicken sie einen an. Einsam in Reih und Glied aufgestellt, Gesichter der Großstadt, Fragmente der Geschichte. Die Mauer als Grabsteingefüge an einem undefinierten Ort, blockartig segmentiert und strukturiert. Ein toter Friedhof, den Jürgen Böttcher hier als Projektionsfläche der Geschichte nutzt, als lebendige Materialität, die selbst als Subjekt zur Reflektionsfläche der eigenen Demontage werden soll. Der Film rekonstruiert die Tage dieses Abbruchs, die Konstruktion von Ruinen durch die Dekonstruktion des Betons. Ein Abschiedsfilm der sich vor einen Aufbruch fürchtet, der vielleicht wohl gar keiner ist.
Vögel fliegen über den Beton. Baumspitzen wehen im Wind of Change. Motivierte Balddeutsche stehen stonewashed klopfend und staunend im Kombinat vor dem Ding, das nun weg soll. Baumaßnahmen als Fortschrittsbewegung, Renovierung der Geschichte, Rückbau. Zukunft des Vergangenen. Die Beobachtungen des Films zeigen ein Konglomerat aus schüchterndem Optimismus und strotzenden Vertrauen des Kleinbürgers auf die Dinge die da kommen mögen. Ein sich selbst und der Materialität des eigenen Staates erkundendes Kombinat als Freakshow von DDR-Fragmenten in unrealen Inszenierungen. Gaukler und theatralische Happenings inszenieren die Mauer. Unten wird geklopft und oben in einer mahnenden Funktionslosigkeit im ästhetischen Gegenlicht patrouilliert. Dabei wird die Geschichte selbst zum Subjekt der Inszenierung. Neben den Aufnahmen der mit kleinem Handwerkzeug ausgestatteten Mauerspechte, dem Auffahren großen Gerätes, dem Ablaufen durch die Noch-Autorität der Grenzsoldaten im Dazwischen und der Scharr der Reporter im Außerhalb, unterläuft Böttcher die dokumentarische Rekonstruktion und beginnt selbst Geschichte zu inszenieren. Er zeigt, wie er Geschichte zeigt.
Im ratternden Rhythmus projiziert er die Historie des Raumes auf sich selbst, vor dem Publikum der revoltierenden Zeit. Auf der Materialität eine Historizität. Böttcher zeigt die Bilder des Aufbaus der steinernen Wand mit aufgestellten Projektoren vor deren Mauerresten als öffentliches Spektakel. Episoden ziehen vorbei. Pickelhelme marschieren durch das das Brandenburger Tor. Hitler präsentiert sich in Schwarz Weiß. Und was folgt ist das zerstörte Berlin. Durch die Ruinen der Stadt drängt sich das Material des Betons, die Elemente der Mauer, während zum cinematographischen Geräusch des Malteserkreuzes die Abtragung der eigenen Substanz in Hammerdröhnen übergeht. Damals das tonale Symbol des Aufbaus dokumentiert im Jetzt den materialen Abbau. Zweimal Projektion. Zweimall Geschichte am Objekt der Mauer markiert. Zweimal führte dies zum Krieg. Die als Einschübe organisierten Projektionen auf der fragmentierten Mauer werden zum Störfaktor inmitten eines dahin treibenden, jubelnden Volkes. Nach der Lichtpräsentation der DDR-Riege auf der dahinbröckelnden Mauer folgt erst einmal nichts. Der Hinweis auf eine strikte Kontinuität wird offensiv. Das Publikum hockt dabei mit ihren Füßen auf Mauerstümpfe, so wie sich diese abgehackten Fragmente selbst auch in die Projektion der Geschichte einschreiben. Das stumme Betrachten scheint dabei in der sozialen Interaktion mir dem Beton immer präsenter. Am nächsten herbstkalten Morgen scheint die aktive Abtragung vorerst unterbrochen. Neugierige Blicke drängen sich in dieser Beobachtung der Beobachtung durch gehämmerte Mauerlöcher. Steinerne Rahmungen kadrieren das deutsche Geschehen auf beiden Seiten in einer guckkastenartige Inszenierung der Begegnungen. Der zaghafte Blick in den rosaroten Westen, wo dann doch auch nur das Wetter alles in ein tristes Grau verwandelt hat. Was bleibt? Die Durchlässigkeit einer Undurchlässigkeit. Nichts ist abgeschlossen und nichts ist zerlegbar. So ist auch die Geschichte nur im Prozess erfahrbar. Und bleibt wohl weiter kontinuierlich. Selbst wenn sie fragmentiert, in kleine Teile zerhämmert oder episodenhaft projiziert wird. Böttcher zerlegt hier eine Hoffnung, die er nicht teilen kann.
Das Hämmern hat sich in ein Grollen verwandelt. Mit tosendem Geschrei und lautem Tohuwabohu feiern bunte Raketen und fröhliche Menschen die Überwindung der Einzelheit und eine zweisame Allgemeinheit. Wir sehen das Treiben verhalten durch ein Autofenster, fahren langsam an das brodelnde Brandenburger Tor heran, um dann mit der Kamera die Bewegung ins Abseits fortzusetzen. Sehen abgedrängte Einheiten des gemeinsamen Volkes. Zukunft im Prozess in seiner Einzelheit. Auch Böttcher bleibt dem Treiben entfernt, trennt sich durch eine selbst geschaffene Mauer ab, um im Abstand das noch jubelnde Volk zu beobachten. Die Abkapselungen im System der Einigkeit scheinen hier nach dem Aufreißen der Trennlinie immer stärker in sich organisiert und Insel bildend. Dagegen hämmert das beobachtete Volk einig gemeinsam weiter, feiert und schaut. Jubelnd schreien sie in die Kamera, „Woodstock war `n Dreck dagegen“. Zusammen als Treibgut im bunten Staatenumbruch. Böttchers Ängste, die den Abriss des Betons als Aufbruch in einen hordenhaften Marsch ins Ungewisse sehen, lassen die tief greifende Enttäuschung dieser revolutionärer Zellen erahnen, wie wir sie heute begreifen können. Geschichte als greifbare Materialität die ihren Prozess ins Heute fortsetzt. Ein Aufbruch, der wohl so gar keiner war.
Aus der Ferne I Thomas Arslan, D 2006
Wie ein Bleistift benutzt Arslan die Kamera als kommentarlose Notiz seiner Reise ohne dabei wirklich selbst zu registrieren, was er da sieht. Rekonstruktion einer Vergangenheit in Abwesenheit von genau dieser. Ohne Bestimmung, ohne Ziel. Das mag eine schöne Zeit gewesen sein, beobachtend auf den Märkten zu verweilen, ruhend im Gewühl der Zeit an der Grenze zum Orient. An einem Ort wo so viel passiert, mit dem Arslan so viel verbindet. Der Zuschauer allein mit einem Blick, der fremd bleibt, aus der Ferne einer undurchdringlichen Position. Abgestellt im Trubel. Soviel Masse in Abwesenheit von allem.
Die Kamera verliert dabei scheinbar jegliche Führung, verharrt starr beobachtend. Ortswechsel. Szenenwechsel. Themenwechsel. Kinder spielen auf der Straße. Ein T-Shirt Träger zerschneidet zerhacktes, blutendes Fleisch, nachdem er uns zuvor tief in die Augen sah. Schöne Farben. Alles ist da im Bild. Irgendwo in der Ferne. Doch fern bleibt eben das, was wir nah haben wollen. Der Mangel breitet sich aus und zieht sich durch die Beobachtungen, wie die schnell vorbeieilenden Brüche der Nichtnarration. Doch genau diese ist es, die nun die zu füllende Lücke langsam zu kitten beginnt. Unser Schrei nach ihr verklingt, als wir erkennen, dass da doch was ist. Assoziationen setzen ein. Bilder verwischen, werden nur noch bruchhaft wahrgenommen und mit neuen Bildern verbunden, die sich eigentlich gar nicht auf der Leinwand finden lassen. Verknüpfungen bilden neue Ketten, bilden Konglomerate einer Narration inmitten der Nichtnarration. Der Zuschauer allein. Und plötzlich beginnt er zu arbeiten. Doch ohne Kontinuität. Denn dann beginnt wieder alles zu klaffen. Ich blicke wieder auf die Leinwand. Und weiß wieder einmal nicht wohin.
Im Hotelzimmer berichtet Arslan von einem Poetiker-Schreibtisch aus mit Brille und Moleskinheft frappierend arrangiert über Ziel und Richtung. Ganz allein bleiben wir also doch nicht. Berichtet wird. Und auch eine Tante sagt, wie alles gewesen sei. Die außen stehende Sichtweise wird so ehrlich fortgesetzt. Führt uns weiter in seiner Reise, die ein uns immer mehr erdrückt. Sein Blick zeigt seine Welt als filmisches Bilderalbum unbewegend aneinandergereiht. Ein Reisebericht, der nachträglich chronologisch zusammengestellt, sich seinen Gegensätzen von dichter Großstadt, lebendigen Alltag und kargem Land in einer beliebigen Schön-Bilder Folge verliert, der in seiner Beharrlichkeit einer Postkartenmontage inszeniert, aufeinander folgende und nicht organisierte Aufzählungen, dicht aneinander drängt. Und dabei immer mehr abdrängt. Eine Kontinuität wäre wünschenswert. Verbindungen so sehr gebraucht. Doch sie bleiben abgegrenzt. Von Westen nach Osten den Blick aus dem Fenster gerichtet in eine Kultur, die eigentlich die seine ist, er doch außen bleibt und ich eigentlich gar nicht dabei bin. Ein Film für Arslan.
Die Sehnsucht in der Ferne nach einer Nähe, die es ganz nah einfach nicht mehr gibt. Wenn man sich kennt und dabei zu sehr kennt, gibt es einfach nichts mehr, was man kennen lernen kann. Und dann kann es einfach aufhören, das zu sein, was man kennt. Die Sehnsucht nach dem was da einmal war in der Suche nach dem was noch kommen kann.
Mit geschlossenen Augen und weit ausgestreckten Armen tanzt Markus auf dem Feuerwehball. In die Musik eintauchend fühlt er nach einer Freiheit, die eigentlich doch gar nicht die seine ist, findet sich wieder in neuen Bewegungsräumen, in denen die Worte nur irgendwo verweilen, kein Platz mehr für ganze Sätze bleibt und keine Zeit für Kaffee. Nachdem wir ganz nah an ihm waren, sein Körper ganz nah an seinem, weckt uns ein fahler Lichtstrahl im Bruch von Ton und Bild. Mit uns im Rücken wacht er allein auf, allein im neuen Raum ohne zu orten, wohin er die Nacht getanzt ist. Alles scheint weit weg: Seine Frau, die Frau von letzter Nacht, die letzte Nacht und auch die Nähe. Und so muss er weiter. Aus dem rosengebetteten Heim zurück im Feuerwehrkombinat vertrauter Gemeinsamkeiten und verirrter Sehnsüchte. Der Bruch im Schnitt bleibt als Bruch im Kopf. Bleibt, wenn er wieder seiner Frau begegnet. „Hallo fremder Mann….!“. Ella ist keine Rose. Und sie kann wohl auch nicht mehr blühen. Zumindest nicht mit Markus. Denn der kann noch nicht einmal Hasen töten. Er kann sich nicht lösen und will auch weit weg. Und weiß auch gar nicht was er will. Im Zwischen vom Mittendrin bleibt er hängen, schleift in scheinbaren Nähen, die näher sind als die anderen und verharrt in Gefühlen, die weiter weg sind als die Blicke.
Ella will, dass sie sich ansehen, wenn sie sich küssen. Und dass sie reden, wenn sie miteinander schlafen. Eben nicht schlafen, sondern wach bleiben, die Augen auf und dabei ganz nah zusammen. Doch schön fühlt er sich nur mit Rose, bleibt hier, auch wenn er gar nicht weiß, wo das so genau ist. Bleibt immer näher und weiß dann doch, dass diese Nähe eigentlich das Weite ist von dem wo er ist. Und dann wird es langsam schwarz.
Erstarrt von der Nähe seiner Sehnsucht, vom Hier seiner Ferne, bleibt auch dieses Schwarz als Bruch. Und er kann sich nicht ändern. Und will aber eigentlich alles. Und dann ist da wieder der Hase. Doch er kann keine Hasen töten. Dann lieber sich selbst. So weit weg kann er es nicht aushalten.
Bäume rauschen und Sträucher wehen im Wind. Kinder spielen auf einer roten Rutsche. Und da nun einfach kein Ende möglich ist, lauschen wir einem möglichen Ende in der Nacherzählung der Kinderrunde. Ein Epilog, der die Nähe nah sein lässt, der möglich macht, dass es möglich ist. In Sehnsucht nach einem Ende dieser Brüche der Nähen. Und dass wir alle keine Hasen sind, auch wenn wir sie nicht töten wollen.
Alleingelassen im Kino. Alles ist viel zu hell. Da, wo eigentlich das Dunkle wohnt. Und hier mehr dunkel sein sollte. Allein im dunklen Licht was da brennt, was sich einbrennt und weh tut. Tief einbrennt und Narben hinterlässt, die nicht loslassen. Die loszulassen es aber wert wären, weil es das einfach nicht wert ist. Der Schmerz, der hier im Alleinlassen ausgelassen wird und es dabei nur noch ums Auslassen geht, ohne den Blick auf das zu richten, was es hätte wertvoll machen können. Das Licht, was dunkel gemacht wird und nicht beachtet wird, um dafür das Dunkle ins Licht zu rücken, ins viel zu rechte Licht. Recht ist das nicht. Sondern Grün und Schwarz. Hell und Dunkel. Und dabei noch nicht einmal das. Blicke, die tief treffen und ein Immerwieder verraten. Und das immer wieder zeigen, so in diesem jenen, rechten Licht ein Mitleid erwecken soll, das nur mit Leid zu ertragen ist. Ein Leid, das so nicht hätte gemacht werden müssen und dafür nicht hätte ertragen werden sollen. Licht nur um des Leidens willen. Nicht Nichtlicht, sondern das Helle, was da Angst macht.
In der Vermischung von Grenzgängen waren wir wohl noch nie gut. Und im Erkennen was das dann ist wohl noch weniger. Und dabei hätten wir doch schon soviel hätten lernen können. Und Licht so heilen.
Nur eins bleibt mir dabei ins Herz getragen: Das will ich nicht. Doch nicht hinsehen hilft auch nicht. Denn da bleibt noch dieser Schrei. Und dieser bleibt. Ob ich nun will oder nicht. Und genau das will ich nicht. Denn das ist das nicht wert. Um des Dunkels willen. Denn wir sind es doch, die das Licht machen können.
„Ich habe die Sehnsucht nach einer anderen Filmkritik. Diese Sehnsucht wird nicht erfüllt. Ich sehe drei große Defizite der deutschen Filmkritik. 99 Prozent besteht aus Service, aus falscher Gnade und aus Impressionismus. Was meine ich mit Service? Zwei Daumen hoch, Sternchen, im weitesten Sinne jede Art von Eventberichterstattung und Infohäppchen, die sich auf die Frage zuspitzen: Soll ich in den Film gehen oder nicht? Diese Art von Service verachte ich. Sie hat nichts mit Kino und Filmkritik zu tun.
Was die falsche Gnade angeht: Ich habe mich vor einiger Zeit mit dem Filmkritiker Tobias Kniebe unterhalten. Der meinte: „Wir dürfen alle nicht schreiben, was wir denken, sonst gäbe es den deutschen Film nicht mehr“. Diese falsche Gnade haben wir Filmemacher nicht verdient. Wenn wir uninteressante Filme machen, dann schreibt nicht darüber. Ich finde ganz wichtig, dass Kritiker aus Passion schreiben. Die kann im Verriss wie im Lob stecken. Und dann muss man sich eben auch freikämpfen in diesem Medienzusammenhang und sagen: „Über den Film kann ich nicht schreiben“ oder: „Ich muss einen Verriss schreiben“. Diese falsche Gnade hat auch deshalb keiner verdient, weil das Filmemachen zu anstrengend st, um dann gesagt zu bekommen: „Ja, für `nen deutschen Film ganz gut – und dafür, dass er billig war“.
[…] Meine Idee von Filmkritik wäre aber Herausforderung. Herausforderung in allen Richtungen: An den Leser, an den Filmemacher, aber eben auch an andere Kritiker. Es müsste darum gehen, zu versuchen, größere Perspektiven herzustellen, die dann auch ins Gesellschaftliche gehen. […]
Das sind alles Dinge, die ich vermisse. Woran das liegt, kann ich nicht genau beurteilen. […] Aber klar ist auch, dass die Kritiker das längerfristig auch selbst ändern könnten.“
Christoph Hochhäusler (Regisseur und Autor) in der Diskussion „Perspektive Filmkritik“, Revolver Live! vom 17. Juni 2005 im Prater der Volksbühne, publiziert in: Revolver Heft14, Juni 2006, Verlag der Autoren.
Im urbanen Zusammenhang ohne Verbindung rennt Mathilda durch die eiskalte Nacht Berlins, um im Neonlicht der Stadt aufzubrechen. Die Kamera lässt sie nicht los, als sie das Nahe der Nähe nicht mehr ertragen kann. Doch wir beißen uns fest, müssen ausharren was sie aushält. Bleiben. Und berühren sie dabei viel näher als sie es wohl aushalten könnte.
Im Begegnungskreis Berlins ist Mathilda schon längst eine der verlorenen Seelen, wie wir sie im Kino und dieser Stadt erwartet haben. In einer Currywurstbude arbeitend, nachdem sie zig Jobs geschmissen und jede Menge Männer verloren hat, lernt sie des Nachts den Polizisten Bronski kennen, der ihr scheinbar drogengesättigt in die Arme fällt. Doch diese Nähe lässt sie aus den Bahnen werfen. Eine Angrenzung ohne Berührung. Weil schon Berührungen wohl schon einmal angegrenzt sind. Von Menschen „die schon gar nicht mehr wissen, was Liebe ist“ und dabei noch nicht einmal sich selbst aushalten können. Von David, den liebenden Vater, der seinem Sohn Dickmanns auf die Nase setzt und bekifft im Maskenkostüm um Liebe bittet, bis hin zum Taxi fahrenden Andy der raumübergreifend mit Mutter und Tochter telefoniert und in dieser Ferne eine Nähe findet, die er schon seit Jahren nicht mehr gespürt hat. Doch in diesem urbanen Miteinander, was schon keine Luft mehr für ein Füreinander lassen kann, bleibt dennoch eine Bewegung, die unmittelbar auf einander führt. Begegnungen ersehnter Hoffnungen. Und dabei geht Vanessa Jopp in ihrem Reichtum an Einfachheit weiter als so manches Soziallhilfeempfängerdrama um kollidierende Einsamkeiten. Jopp beschreitet eine Nähe, die die Figuren in sich tragen. Sie erreichen sie knapp, um sie alsbald wieder zu verlieren. Unbequem selbstverschuldet und dennoch hoffnungslos zuversichtlich treiben sie so aufeinander zu.
Heroisch und in kindlicher Romantik stürzen sich Johanna und der taxifahrende Andy auf die Straßen der Großstadt um sich leidenschaftlich zu küssen. Ali gesteht, dass sie keine Liebe mehr empfindet. Und Mathilda rennt am nächsten Morgen wieder zur Polizeiwache um alles zurück zu drehen. Und so kollidieren sie scheinbar doch. Unsere nahen Hoffnungen. Und kommen immer näher. Doch plötzlich bleibt das Bild im Stand. Wir bleiben stehen und werden alleingelassen. Bleiben. Mit Mathilda. Und sehen, was sie fühlt. Und wissen, dass sie es nicht kann. Und das wir dabei sein müssen. Und dass wir ihr dabei einfach so nah sind, dass wir ahnen müssen was passiert. Und dass wir es nicht aushalten wollen. Doch bleiben müssen. Auch wenn sich nichts mehr bewegt. In einer Nähe, die so unerträglich menschlich ist, dass wir nicht anders können, als die Unerträglichkeit zuzulassen.
Am Samstag laden wir zum großen Kinoheft-Release-Event, der diesjährigen Veröffentlichung der Publikation der kritischen Betrachtungen der Berlinale 2006.
Im Rahmen dieser Pracht zeigen wir unseren persönlichen Lieblingsfilm der Filmfestspiele, Lenz, in einer bisher einmaligen Lichtpräsentation in Deutschland. Thomas Imbach reist zu diesem Anlass über die Berge, den Film im Gepäck. Im Anschluss bietet sich die Möglichkeit in einem Filmgespräch mit dem Regisseur und den schreibenden Kritikern einen Einblick in diese skurrile Verfilmung eines Berges zu bekommen. Über einen Querkopf, dem das Massiv immer wieder in die Quere kommt, gemäß den Zeilen: „It’s better to burn out than to fade away,
my my hey hey.
Mit Sekt&Strawberries, Musik und anschließendem Gelage.
Lichthaus:15.Juli/21:30
So sehr auch die Hand versucht, die Sonne zu greifen, entwischt sie immer wieder aufs Neue. Unbeholfen erklimmt Lenz die schneebedeckten Berge, den roten Koffer im weißen Schnee hinter sich her ziehend. Ein auffallender Punkt in der Masse des kleinen Weiß, der aber so schnell dahinrauscht, dass die Kamera ihn kaum verfolgen mag. Im Kleinen verblichen. Geflüchtet in die Natur wird Lenz alsbald eins mit ihr, zelebriert die Gleichwerdung im Laben am Morgentau und taucht den stadtüberfluteten Kopf tief in das eiskalte und fruchtbar unurbane Eiswasser des Gebirges. Schneestaub rieselt auf ihn nieder. Nebelschwaden verhüllen das Licht, das ihn umgibt, von der trennenden Bergspitze des thronenden Matterhorns zerschnitten. Im Tanz um Ehrfurcht und Liebe mit sich und dem Drumherum, weit weg vom Leben und ganz nah an sich.
Der Filmemacher Lenz zieht in die Berge, um sich und seine Familie zu finden. Doch alles was davon übrig bleibt ist ein Fragment. Er mit sich im Film vom Selbst. Er als Teil eines großen Ganzen, das rege Schneetreiben des Massentourismus durchquerend, um die sinngebende Formgebung der Familie zu erreichen. Form als Grundbaustein der Inszenierung, der Formung von Einheiten und der erneuten Zusammenfassung von Formen im Ganzen. In der Inszenierung von Leben als Inszenierung von Kunst. Er als Film. Und er als Natur. Dieses Zuviel an Allem kann er nur fassen, indem er bricht. Der Berg teilt die Luft. Die Familie wird getrennt. Seine Psyche gespalten. Die zu Lenz gespiegelte Figur des Matterhorns, mitten im Film stehend, starr und bewegend, unbewegt teilnahmslos, zerschneidet seine Umwelt als scheinbar einziges Massiv feststehend im Rauschen des Schnees. Doch in der komplexen Fülle der Details, wechselnden Orten und Pfaden, verliert sich die Chance, die Sonne zu fassen, wohl immer mehr. Und das Rauschen setzt sich fort. Die Familie kommt, die Familie geht. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Und so bleiben nur noch Filme von sich selbst. „Nicht eine beobachtete Gesellschaft ablichten, sondern von sich selbst erzählen.“ Ganz nah ranlassen. Um dann wieder zu fliehen.
Eingebuddelt im Iglu, das einfach keine Wärme nach außen lässt, ergeht es Lenz wie dem kleinen Eskimo, der das Radio so sehr liebte, dass er sich selbst ein Cembalo kaufte, doch im Rausch der Töne die Welt um sich vergaß und schließlich von einem für ihn viel zu großen Eisbären gefressen wurde. Doch das Iglu lässt niemanden hinein. Die kalte Schicht wehrt jeden ab. Lenz bleibt im Kampf gegen ein Außen in sich selbst abgeschirmt, entfernt sich von der Gesellschaft, um für sie den Künstlertod zu sterben. Als Poet des Augenblicks schreibt er sein eigenes Fragment, bebt, um weiter leben zu können. Bis an seine Körperlichkeit rasend, dem Geist entgegeneilend, dem Eis trotzend und vor der Wärme flüchtend. Wenn wir dabei auf der Leinwand die großen und wilden Augen eines Lenz im tosenden Drumherum beobachten, so beobachtet er auch sich. Nicht, dass wir sehen was er sieht, sondern wir sehen, wie er sich sieht. Seine Kamera bleibt immer dabei, wandelt bald von einer Ununterscheidbarkeit zur Einheit. Und umso mehr wird die mitgeführte Kamera immer mehr zum Auge. Das Auge, was nur noch blickt und nichts mehr verändern kann. Im Sog der Abbildung aus der Aktion gerissen, kann er seine Familie nicht halten, entwischt die Sonne aus seinen Händen und alles wird wieder zu einem weißen Rauschen.
Formen können nicht gebildet werden, sondern entstehen nur noch. Verfallen und formen sich neu. Im Begreifen ein kleiner Teil des Großen zu sein, umhergewirbelt als Subjekt, behandelt als Objekt, in sich selbst verloren und unentdeckt. Eine warme Geschichte im fruchtbaren Eis der Menschen. Der Künstler als Fragment einer Gesellschaft, die niemanden allein lässt, als Grenzwert inmitten des Einen. Er selbst grenzt aus, bleibt aber als Grenze im Innen des Ausgegrenzten. Eine Gesellschaft, die alles einschließt, umwirbelt und absorbiert, bis es in sich selbst ausgeschlossen, kein Teil mehr von irgendetwas werden kann. Sperrig, zerbrochen und abgehetzt bleibt er am Ende wie am Anfang. Ein Fragment vom Leben.
Von der Unerträglichkeit des Nichtlichts im Dunkelraum. Betrachtungen und Selbstdarstellung. Kritik, Texte und Arbeitsproben visueller Grenzgänge.