Thursday, November 09, 2006

Jahrestage im kritischen Licht

















Die Mauer I D 1991, Jürgen Böttcher

Mit großen Augen blicken sie einen an. Einsam in Reih und Glied aufgestellt, Gesichter der Großstadt, Fragmente der Geschichte. Die Mauer als Grabsteingefüge an einem undefinierten Ort, blockartig segmentiert und strukturiert. Ein toter Friedhof, den Jürgen Böttcher hier als Projektionsfläche der Geschichte nutzt, als lebendige Materialität, die selbst als Subjekt zur Reflektionsfläche der eigenen Demontage werden soll. Der Film rekonstruiert die Tage dieses Abbruchs, die Konstruktion von Ruinen durch die Dekonstruktion des Betons. Ein Abschiedsfilm der sich vor einen Aufbruch fürchtet, der vielleicht wohl gar keiner ist.

Vögel fliegen über den Beton. Baumspitzen wehen im Wind of Change. Motivierte Balddeutsche stehen stonewashed klopfend und staunend im Kombinat vor dem Ding, das nun weg soll. Baumaßnahmen als Fortschrittsbewegung, Renovierung der Geschichte, Rückbau. Zukunft des Vergangenen. Die Beobachtungen des Films zeigen ein Konglomerat aus schüchterndem Optimismus und strotzenden Vertrauen des Kleinbürgers auf die Dinge die da kommen mögen. Ein sich selbst und der Materialität des eigenen Staates erkundendes Kombinat als Freakshow von DDR-Fragmenten in unrealen Inszenierungen. Gaukler und theatralische Happenings inszenieren die Mauer. Unten wird geklopft und oben in einer mahnenden Funktionslosigkeit im ästhetischen Gegenlicht patrouilliert. Dabei wird die Geschichte selbst zum Subjekt der Inszenierung. Neben den Aufnahmen der mit kleinem Handwerkzeug ausgestatteten Mauerspechte, dem Auffahren großen Gerätes, dem Ablaufen durch die Noch-Autorität der Grenzsoldaten im Dazwischen und der Scharr der Reporter im Außerhalb, unterläuft Böttcher die dokumentarische Rekonstruktion und beginnt selbst Geschichte zu inszenieren. Er zeigt, wie er Geschichte zeigt.

Im ratternden Rhythmus projiziert er die Historie des Raumes auf sich selbst, vor dem Publikum der revoltierenden Zeit. Auf der Materialität eine Historizität. Böttcher zeigt die Bilder des Aufbaus der steinernen Wand mit aufgestellten Projektoren vor deren Mauerresten als öffentliches Spektakel. Episoden ziehen vorbei. Pickelhelme marschieren durch das das Brandenburger Tor. Hitler präsentiert sich in Schwarz Weiß. Und was folgt ist das zerstörte Berlin. Durch die Ruinen der Stadt drängt sich das Material des Betons, die Elemente der Mauer, während zum cinematographischen Geräusch des Malteserkreuzes die Abtragung der eigenen Substanz in Hammerdröhnen übergeht. Damals das tonale Symbol des Aufbaus dokumentiert im Jetzt den materialen Abbau. Zweimal Projektion. Zweimall Geschichte am Objekt der Mauer markiert. Zweimal führte dies zum Krieg. Die als Einschübe organisierten Projektionen auf der fragmentierten Mauer werden zum Störfaktor inmitten eines dahin treibenden, jubelnden Volkes. Nach der Lichtpräsentation der DDR-Riege auf der dahinbröckelnden Mauer folgt erst einmal nichts. Der Hinweis auf eine strikte Kontinuität wird offensiv. Das Publikum hockt dabei mit ihren Füßen auf Mauerstümpfe, so wie sich diese abgehackten Fragmente selbst auch in die Projektion der Geschichte einschreiben. Das stumme Betrachten scheint dabei in der sozialen Interaktion mir dem Beton immer präsenter. Am nächsten herbstkalten Morgen scheint die aktive Abtragung vorerst unterbrochen. Neugierige Blicke drängen sich in dieser Beobachtung der Beobachtung durch gehämmerte Mauerlöcher. Steinerne Rahmungen kadrieren das deutsche Geschehen auf beiden Seiten in einer guckkastenartige Inszenierung der Begegnungen. Der zaghafte Blick in den rosaroten Westen, wo dann doch auch nur das Wetter alles in ein tristes Grau verwandelt hat. Was bleibt? Die Durchlässigkeit einer Undurchlässigkeit. Nichts ist abgeschlossen und nichts ist zerlegbar. So ist auch die Geschichte nur im Prozess erfahrbar. Und bleibt wohl weiter kontinuierlich. Selbst wenn sie fragmentiert, in kleine Teile zerhämmert oder episodenhaft projiziert wird. Böttcher zerlegt hier eine Hoffnung, die er nicht teilen kann.

Das Hämmern hat sich in ein Grollen verwandelt. Mit tosendem Geschrei und lautem Tohuwabohu feiern bunte Raketen und fröhliche Menschen die Überwindung der Einzelheit und eine zweisame Allgemeinheit. Wir sehen das Treiben verhalten durch ein Autofenster, fahren langsam an das brodelnde Brandenburger Tor heran, um dann mit der Kamera die Bewegung ins Abseits fortzusetzen. Sehen abgedrängte Einheiten des gemeinsamen Volkes. Zukunft im Prozess in seiner Einzelheit. Auch Böttcher bleibt dem Treiben entfernt, trennt sich durch eine selbst geschaffene Mauer ab, um im Abstand das noch jubelnde Volk zu beobachten. Die Abkapselungen im System der Einigkeit scheinen hier nach dem Aufreißen der Trennlinie immer stärker in sich organisiert und Insel bildend. Dagegen hämmert das beobachtete Volk einig gemeinsam weiter, feiert und schaut. Jubelnd schreien sie in die Kamera, „Woodstock war `n Dreck dagegen“. Zusammen als Treibgut im bunten Staatenumbruch. Böttchers Ängste, die den Abriss des Betons als Aufbruch in einen hordenhaften Marsch ins Ungewisse sehen, lassen die tief greifende Enttäuschung dieser revolutionärer Zellen erahnen, wie wir sie heute begreifen können. Geschichte als greifbare Materialität die ihren Prozess ins Heute fortsetzt. Ein Aufbruch, der wohl so gar keiner war.

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